Ein Projekt, wie allein erziehenden Eltern geholfen wird, möchte ich hier anführen. Sie haben die Möglichkeit Gemeinschaften zu bilden ab 30 Mitgliedern, denen ein Kapital von 300000 Francs (460 Euro) zur Verfügung gestellt wird. Mit diesem Geld können die Mitglieder gemeinsam kleine Geschäfte aufbauen. Zum Beispiel eine Farm betreiben und Produkte wie Palmöl herstellen und verkaufen. Der Gewinn wird am Ende des Monats unter den Mitgliedern aufgeteilt.
Es ist moeglich, dass die Mitglieder von dem zur Verfügung gestellten Geld einen Kredit bekommen (kleinere Betraege von 500 bis 5000 Francs), was allerdings innerhalb drei Monate wieder zurueckgezahlt werden muss mit einem Zins von 25 Francs pro 1000 Francs. Dies soll dazu dienen, dass nicht leichtfertig Geld geliehen wird. Jedes Mitglied ist dazu angehalten von dem erwirtschafteten Gewinn monatlich Ruecklagen zu bilden. In bestimmten Fällen, wie zum Beispiel Krankheit, können die Mitglieder auf dieses Geld zurückgreifen und einen Arztbesuch bezahlen. Insgesamt soll das Kapital der Gemeinschaft wachsen, sodass es moeglich wird auch groessere Kredite und Anschaffungen zu gewaehren.
Jede Gemeinschaft bestimmt ein oder zwei „Leader“, die über sechs Monate vom Family Life Office ausgebildet werden. Danach sind sie für die Gemeinschaft und die Verwaltung des Geldes verantwortlich. Monatlich müssen sie über die Tätigkeiten und finanziellen Bewegungen einen Bericht abgeben. Die Gemeinschaft ist somit für sich selbst verantwortlich und autonom in ihren Entscheidungen. Die Mitarbeiter des Family Life Teams haben nur eine unterstützende bzw. Kontrollfunktion.
Im Family Life Office in Kumbo gibt es neun Mitarbeiter. Es ist sozusagen das Hauptbüro im Bistum und deshalb für die Koordination bzw. Ausbildung ehrenamtlicher Mitarbeiter zuständig. In den Gemeinden werden die Arbeiten nämlich hauptsächlich von Gemeindemitgliedern ehrenamtlich geführt.
Am Samstag geht es zusammen mit dem Direktor des Family Life Office und einer Mitarbeiterin früh um sieben Uhr von Kumbo aus los in ein Dorf namens Djottin.
Dort findet ein Treffen der Family-Life-Mitarbeiter in den Gemeinden um Djottin statt. Ich fange mal mit der Hinfahrt an, denn wie ich vielleicht schon erwähnt habe: Es ist Regenzeit. Große Straßen wie von Bamenda nach Kumbo sind ja noch befahrbar, aber sobald es in abgelegene Dörfer geht, wünscht man sich einen deutschen Feldweg. Dabei hatten wir einen der besten Geländewagen, die Kumbo zu bieten hat. Die Straße besteht aus rotem Lehmboden mit riesigen Schlaglöchern und ausgefahrenen Spurrillen. Da es am Morgen geregnet hat, war es natürlich besonders rutschig. Aber dank des Allradantriebs des Autos und des Talents unseres Fahrers kamen wir gut voran.
Wir sind nur einmal stecken geblieben! Doch da diese Stelle den Einheimischen schon bekannt ist, waren sofort ein paar Männer da um uns wieder freizuschaufeln (gegen einen kleines Trinkgeld versteht sich). Die Straße ist sogar für kamerunische Verhältnisse schlecht. Schließlich wurde beschlossen nach Djottin nur noch in der Trockenzeit zu fahren.
Die Landschaft ist wunderschön! Besonders, wenn kurz nach Sonnenaufgang, die Sonnenstrahlen durch die Nebelschwaden auf die Blätter der Bananenstauden fallen. Die Gegend ist sehr gebirgig. Alle paar hundert Meter stürzen Wasserfälle in grüne Palmenhaine. Die Region ist nicht sehr dicht besiedelt, aber trotzdem sieht man rechts und links viele Frauen emsig auf den Plantagen arbeiten. Djottin liegt etwas tiefer als Kumbo und deshalb ist es wärmer. Bananen wachsen hier sehr gut. Wir schlängeln uns also durch die grünen Bananenplantagen immer näher unserem Ziel entgegen.
Um halb neun kommen wir in Djottin an. Außer uns ist natürlich noch niemand da (Das Treffen hätte um acht Uhr beginnen sollen). Aber somit haben wir Zeit uns mit dem Pfarrer von Djottin zu unterhalten. Man merkt sofort, dass der Lebensstandart der Menschen hier niedriger ist als in Kumbo.
Gleich zu Beginn fällt mir, dass vor einem Haus eine große Menschenmasse steht und wartet. Was das bedeutet wird mir im Gespräch mit dem Direktor des Family Life Office klar: Es ist das Zentrum einer amerikanischen NGO (nicht staatliche Hilfsorganisation). Diese Organisation hat ein Projekt „Food for Children“. Familien mit Kindern können sich dort kostenlos einmal in der Woche Reis abholen. Soweit ja ganz logisch: Die armen Kinder bekommen da zu essen.
Aber die andere Seite bzw. die Missorganisation ist, dass der Reis aus Amerika kommt. Der Reis wird in Amerika eingekauft und für mehrere Millionen nach Djottin transportiert.
Das Kontroverse ist: In Kamerun, insbesondere im Nord-Westen wachsen alle erdenklichen Lebensmittelarten: Von Kartoffel über Bananen bis hin zu Reis! Die Reisfelder sind keine 50 Kilometer von Djottin entfernt und dennoch wird amerikanischer Reis verteilt. Im Nord-Westen Kameruns gibt es keinen Lebensmittelmangel. Ganz im Gegenteil können die Farmer der Region ihren eigenen Reis nicht mehr verkaufen, weil die Konkurrenz zu amerikanischen Reis zu groß ist. Den gibt’s ja umsonst.
Das Family Life Office und das Bistum kümmern sich auch um Farmer, die zu arm sind um ihren Kindern das Schulgeld zu bezahlen.
Da muss man fragen, ob Entwicklungshilfe, wie es von uns genannt wird, in dieser Form wirklich einen positiven Effekt hat oder die einheimischen Märkte kaputt gemacht werden?
Um halb zehn können wir endlich beginnen (wenn auch noch nicht alle da sind). Die meisten Anwesenden sind ehrenamtliche Mitarbeiter aus den umliegenden Gemeinden und sie berichten über ihre Arbeit der letzten Monate. Dadurch kann ich einen guten Einblick in die laufenden Aktivitäten bekommen. So wird berichtet für welche und wie viele Kinder das Schulgeld bezahlt wurde (in einer Gemeinde für 250 Kinder!), welche Probleme es im Einzelnen gibt, z.B. mit Aids-Kranken. Es gibt ein Programm, das Aids-Kraken ermöglicht, in Gemeinschaften zusammenzukommen, aber vor allem ihnen näher zu bringen, dass ein Leben mit Aids nicht vollkommen hoffnungslos und sinnlos ist. Ein wichtiger Faktor bei allem ist das Beten. Das kann man sich in Deutschland gar nicht vorstellen, aber gemeinsames Beten, Singen, Bibelteilen ist hier sehr wichtig. Die Religion hilft den Menschen, neue Kraft und Hoffnung zu schöpfen.
Es ist beeindruckend mit wie viel Leidenschaft alle ihre Tätigkeiten ausführen. Nach jedem Report werden Rückmeldungen gegeben, Probleme diskutiert und Verbesserungsvorschläge gemacht. Somit war das Treffen sehr interessant und abwechslungsreich, wenn auch das afrikanische Englisch von einigen teils schwer zu verstehen war. Ein Großteil der Gelder zur Fananzierung der Projekte stammt übrigens aus dem Bistum Limburg.
Dann muss ich doch noch vom Essen berichten: Während des Treffens gab es Erdnüsse, das heißt frische Erdnüsse. Die gibt es in Kamerun an jeder Ecke und vor jedem Haus zu kaufen. Ich denke also, wer weiß wann es wieder etwas zu essen gibt, die Kameruner kauen auch kräftig, also lange ich mal kräftig zu. Es schmeckt schließlich gut (ganz anders als getrocknete Erdnüsse).
Aber wir sind in Kamerun. Nach dem Treffen gibt es erst einmal was zu essen. Entweder sind die Portionen außerhalb Kumbos noch größer oder man will sich nicht nachsagen lassen, dass jemand hungrig hinausgeht. Es gibt Fufu-Corn und Njama-Njama, das für die Region um Kumbo typischste Gericht. Fufu besteht nur aus Maismehl (ohne Gewürze), das mit Wasser über offenem Feuer zu Brei gekocht wird. Das ganze wird in Plastiktüten portioniert, wo es zu einem sehr großen Kloß zusammenklebt.
Njama-Njama ist ein spinatähnliches, leicht bitteres Blattgemüse. Gegessen wird, indem man in der rechten Hand ein Stück des Fufu-Kloßes zu einer kleineren Kugel rollt und die sich mit ein bisschen Njama-Njama in den Mund steckt. Es schmeckt gut und ist vor allem sehr, sehr sättigend. Man muss seinen Magen wohl erst trainieren, um solche Mengen Fufu hineinzubekommen. Ich habe es als letzter geschafft meinen Fufu-Kloß aufzuessen (obwohl ich als erster bekommen habe).
Nachdem ich mir den letzten Brocken Fufu reingezwängt habe, gibt es noch etwas zu trinken, natürlich Export „33“. Das ist die kamerunische Biersorte schlechthin; es schmeckt auch ganz gut. Allerdings gibt es das Bier hier nur in 0,65 Literflaschen. Ich muss also in meinen sowieso schon überfüllten Magen noch 0,65 Liter Bier hineinpumpen. Die Kameruner haben aber Verständnis und warten auf mich. Irgendwann würde aus mir noch ein richtiger Kameruner werden.
Die Rückfahrt ist genauso interessant wie die Hinfahrt. Immer wieder halten wir an und kaufen ein: Bananen, Kohl, Njama-Njama. Denn hier ist alles viel billiger als in Kumbo direkt. Zum Beispiel bezahlt man in Kumbo für ca. 16 Bananen 300 Franc (50 Cent), hier habe ich sie für nur 50 Franc (9 Cent) gekauft.
Am Montag, dem 23. August, sind wir in einer Art Berufsschule für Schneiderinnen. Dort werden zur Zeit 28 Mädchen in Nähen und Kleidungsdesign ausgebildet. Zusammen mit Stephen aus dem Family Life Office fahre ich dorthin, wo wir zwei Stunden einen Vortrag über HIV/Adis halten. Angefangen damit, was HIV ist, wie die Krankheit verläuft, wie man sich infiziert, wie man sich davor schützten kann, was ein Aids-Test ist und dann auch wie man sich gegenüber Aids-Kranken verhalten soll.
Dabei bin ich sehr überrascht, wie sachlich die Themen behandelt werden. Es steht nicht die katholische Lehre im Vordergrund. So wird auch das Kondom von Stephen als Mittel der Aids-Prävention angeführt. Aber andererseits beleuchtet er kritisch die Problematik: Wegen der ohnehin schlechten Qualität der Kondome in Afrika, welche durch Lagerung bei hohen Temperaturen und UV-Strahlen noch verschlechtert wird, kann vom Kondom keineswegs als sicheres Verhütungsmittel geschweige denn als Schutz vor einer Aids- Infektion gesprochen werden. Die einzige wirksame Möglichkeit sich vor Aids zu schützen ist also kein Sex zu haben. Die Mädchen sind sehr interessiert und stellen viele Fragen. Insgesamt ist die Veranstaltung sehr erfolgreich.
Aufklärung über Aids ist wichtig, denn es existiert sehr viel Irrglaube über das, was Aids ist, weil zu wenig offen darüber gesprochen wird.
Die Aids-Rate wird auf mindestens 32% geschätzt!
Das Problem ist insbesondere in Kumbo sehr groß, weil hier eines der besten Krankenhäuser Westafrikas ist. Deshalb kommen täglich viele Kranke nicht nur aus Kamerun und natürlich auch Aids-Kranke. Durch Prostitution verbreitet sich der Virus sehr schnell. Prostitution ist oft der einzige Ausweg fuer vollkommen Mittellose an Geld yu kommen. Im Family Life Office sagen sie, dass es in fast jeder Familie einen HIV-Infizierten gibt. Jeder zweite Todesfall hat vermutlich Aids zur Ursache. Wenn nun ein Elternteil oder beide sterben oder zu krank sind um zu arbeiten, können auch die Kinder nicht mehr richtig versorgt werden, geschweige denn in die Schule gehen. Es gibt hier sehr viel allein stehende Mütter und Waisen. Aids ist also eine der Hauptursachen für Armut.
Die Mitarbeiter im Family Life Office sind eigentlich machtlos, denn was können sie anderes tun als über Aids aufzuklären und sich um die Hinterbliebenen der Aids-Opfer zu kümmern?
Am letzten Sonntag war eine „memorial mass“, ein Gedenkgottesdienst in unserer Gemeinde. Eine Frau hat innerhalb der letzten zwei Jahre ihren Mann und ihre drei Kinder verloren. Darüber gesprochen, an was sie gestorben sind, wurde nicht. In der Öffentlichkeit will man nicht über die allgegenwärtige Gefahr sprechen.
Ich wurde gefragt: „Warum hat Gott Aids den Afrikanern geschickt?“ – Bei dieser Frage schwingt der kleine Zusatz mit: „und nicht den Europäern?“ – Die Antwort ist unergründbar, denn es wäre die Antwort auf die Ungerechtigkeit in der Welt.
Im Family Life Office werde ich die nächste Woche arbeiten bis am 6. September die Schule beginnt. Dann werde ich im St. Augustin’s College Mathematik und Deutsch unterrichten, aber weiterhin die Möglichkeit haben bei Aktivitäten im Family Life Team mitzuhelfen.
Viele Grüße Maximilian