Dementsprechend ist auch das Klima: Sehr heiß, aber meistens trocken. Das Land ist flach und sandig. Umrahmt ist Sabongari von hohen Bergen. Reisfelder und Ölpalmen prägen das Bild.
Die Region Sabongari besteht aus 24 kleineren Dörfern (zum Beispiel Nwa, Gwa, Limboh, Atar), für mich ist allerdings nicht ersichtlich, wo das eine aufhört und das andere anfängt. Die Bevölkerung setzt sich aus 7 Stämmen zusammen, die grundverschiedene Sprachen sprechen und sich im Aussehen unterscheiden. Um sich zu verständigen, können die meisten Menschen Ansätze von Pidgin-Englisch sprechen. Da Sabongari aber auch an der Grenze zum französischsprachigen Teil liegt, wird die Verständigung nochmals erschwert. Einer der größten Stämme sind die der Volksgruppe der Fulani angehörigen Mbororo. Das sind ehemalige Nomaden, die abgegrenzt von den anderen Stämmen von der Rinderzucht leben. Da deren Kinder meistens nicht die Schule besuchen, sprechen sie auch kein Englisch.
Meiner Meinung nach spiegelt Sabongari sehr gut die Situation ganz Kameruns wieder. Hier können sich die sieben Stämme noch nicht einmal auf einen Häuptling einigen, wie soll dann in Kamerun mit 215 Ethnien ein demokratisch gewählter Präsident gefunden werden?
Die meisten Kinder besuchen aber die Schule und lernen ein einigermaßen gutes Englisch.
Die Region ist sehr arm. Fast alle leben von ihrer Farm und den Erzeugnissen, die sie auf dem Markt verkaufen können. Das liegt vor allem an der Abgelegenheit der Region. Die nächst größerer Stadt ist das 100km entfernte Kumbo über eine Straße, die dank EU-Hilfen jetzt mit dem Auto befahrbar ist. Trotzdem kostet eine Fahrt 3500 Francs (5,40€), ein kleines Vermögen. Auf einer meiner Rückfahrten nach Kumbo war der arme Toyota Corolla sehr vollgestopft: 11 Personen, nein ich muss mich verbessern: 10 Personen und ein Mbororo (Angehörige dieses Volksstamms werden nämlich von den Fahrern nicht als Personen gezählt), zwei Ziegen, vier Hühner und das ganze Gepäck, was unter anderem eine Staude Kochbananen, getrocknete Fische oder wie in meinem Fall 32 Bobolo sein können. (In Sabongari gibt es 8 Bobolo nämlich für 100 Francs. In Kumbo bezahlt man für drei 100 Francs und sie sind bei weitem nicht so gut.)
Die Menschen sind auch hier sehr freundlich, aber meistens etwas zurückhaltender als in anderen Regionen Kameruns. Freunde habe ich aber trotzdem gefunden. Zum Beispiel Okoro Nathaniel Chibuike (ich mag den Namen), der aus Nigeria stammt. Momentan schreibt er seine Examen in der Secondary School. Da sein Vater tot ist und seine Mutter mit den Geschwistern in einem nigerianischen Dorf lebt, muss er sein Schulgeld selbst verdienen. Er hat ein kleines Geschäft gemietet, in dem er auch lebt. Dort bietet er Glaserarbeiteten an, rahmt Bilder, repariert Fenster und schneidet Spiegel zu. Nach diesem Schuljahr will er aber auf jeden Fall wieder zurück nach Nigeria. Studieren? Das kann er sich nicht leisten, aber er möchte ein berühmter Sänger werden, wenn das nicht klappt, will er im großen Stiel getrocknete Chilischoten von Kamerun nach Nigeria verkaufen.
Mit allen Freunden kann ich mich lange unterhalten und wir klären uns gegenseitig über unsere jeweilige Kultur auf. Zum Beispiel sind sie ganz erstaunt, dass ich als Weißer „real food“ esse. In westlichen Filmen würden alle nämlich nur Salat essen. Bei anderen Themen können wir uns nicht so ganz einigen, denn wieso ist es schlecht Affenfleisch zu essen? Gerade schwangere Frauen müssen ein wenig Affenfleisch essen, sonst wird das Kind schwachsinnig.
Ich wohne in der katholischen Mission bei den Schwestern. Die Mission besteht aus einer kleinen Kirche, dem Pfarrhaus, in dem die zwei Pfarrer wohnen, und dem Konvent. Gleich daneben befinden sich das Health Centre und eine Schule, die von zwei der insgesamt vier Schwestern gerade aufgebaut wird. Diese Schule ist in erster Linie für Mädchen gedacht. Das Schulgeld ist gering und sie lernen neben den üblichen Unterrichtsfächern auch Nähen und Kochen. Das soll dazu beitragen, dass mehr Mädchen eine weiterführende Schule besuchen.
Die Schwestern kommen aus unterschiedlichen Regionen Kameruns und so kann ich viele verschiedene Gerichte essen. Zum Beispiel „Kwa-Coco-Bible“. Das sind gekochte und geriebene Cocoyams, die mit allem, Palmöl, Fisch, Chili gemischt und in Bananenblätter gwickelt nochmals gekocht werden. Deswegen heißt es „Bible“, weil in der Bibel auch alles drinsteht. Es gibt immer reichlich und natürlich Früchte, die in Sabongari so gut wie nirgendwo sonst wachsen, Ananas, Papaya, Mango und Zuckerrohr! Abends sitzen wir mit den Pfarren zusammen und machen Zuckerrohrwettessen, was ganz schön schwierig ist, denn Zuckerrohr ist sehr hart, aber mittlerweile habe ich die richtige Technik gefunden und mich zu einem schnellen Zuckerrohresser entwickelt. Mit meinem selbstgebackenen, „salzigen“ Sauerteigbrot können sie sich jedoch nicht anfreunden.
Morgens besuche ich um sechs Uhr die Messe oder gehe manchmal joggen. Das ist sehr schön, wenn man im Sonnenaufgang durch die Reisfelder joggt. Leider muss man stets rechts und links mit „morning ohh!“ grüßen. Danach gibt es Frühstück und um halb acht fängt die Arbeit im Health Centre an.
Arbeit im Health Centre
Das Health Centre St. Kizito wird von den “Sisters of St. Therese” geleitet. Es ist eine Art Krankenhaus. Wir haben Krankensäle für Männer, Frauen und Kinder mit jeweils acht Betten, eine Apotheke, ein kleines Labor, einen Raum, der gleichzeitig als Empfangs-, Behandlungs- und Schwesternzimmer fungiert und einen Kreissaal, der durch Bretter von der Neugeborenenstation abgetrennt ist. Eigentlich ist also alles da, was man so braucht, nur eben kein Arzt. Aber dafür leisten die Krankenschwestern alle Arbeit. Außer Sister Theresia, die das Health Centre leitet, gibt es noch drei Krankenschwestern, die sich in Zwölfstunden-Schichten abwechseln, weil immer eine Schwester da ist. Die Apotheke wird von einer weiteren Ordensschwester geführt und das Labor von einer jungen Labortechnikerin. Dann gibt es noch zwei Hausmeister, die im Notfall auch als Geburtshelfer zur Verfügung stehen oder als Dolmetscher, denn die Schwestern beherrschen auch nicht die Stammessprachen.
Es ist echt zu bewundern, dass die Krankenschwestern von der Hebamme bis zu kleinen chirurgischen Eingriffen alles machen, was gerade anfällt. Wenn sie einmal nicht weiter wissen, ist es auch nicht schlimm, denn die Ausstattung wäre sowieso nicht vorhanden, um kompliziertere Krankheiten zu behandeln. Die häufigsten Krankheiten sind ohnehin bedingt durch das Klima Malaria und bedingt durch die nicht vorhandene Wasserversorgung Typhus und Parasiten.
Dann muss man nur noch warten, dass die Patienten kommen. Wenn man davon ausgeht, dass allein „Sabongari-Stadt“ 4000 Einwohner hat, müsste man meinen, dass das Health Centre immer voll ist. Das ist aber nicht der Fall. Wenn jemand in einem Dorf krank wird, wartet er erst einmal ab, ob es wirklich so schlimm ist, dann lässt er sich ein günstiges Antibiotikum auf dem Markt andrehen und wenn das auch nicht hilft, nimmt er den mehrstündigen Fußmarsch ins Health Centre auf sich. Dass dann vor allem Kinder das Health Centre nicht mehr lebend erreichen, erklärt sich wohl von selbst.
Wenn jemand zum Health Centre kommt, wird er im besagten Allzweckzimmer untersucht, was für jeden 200 Francs kostet (0,31€). Hier kann ich Fieber- und Blutdruckmessen, Wiegen und versuchen zu verstehen, was der Patient uns sagen will. Die Schwester schreibt die notwendigen Tests auf, die der Patient nach Bezahlung im Labor durchführen lassen kann. Auf Malaria wird grundsätzlich getestet, was in über 70% der Fälle auch positiv ist. Ein Malariatest, Bestimmung des Hämoglobinwerts und der Anzahl der weißen Blutkörperchen und Untersuchung des Stuhls kostet zum Beispiel 1400 Francs (2,08€). Nach erhalten des Testergebnisses verschreibt wiederum die Schwester die Medikamente, die den allergrößten Teil einer mehrere-tausend-Francs-Rechnung ausmachen. Im Labor mache ich sehr viel und habe auch schon viel gelernt, wie zum Beispiel Wurmeier unter dem Mikroskop zu differenzieren. Mit einem alten Mikroskop, ein paar Teststreifen und Chemikalien kann man schon viel machen. Wir führen sogar Bluttransfusionen durch.
Bei manchen Patienten kann man ihnen nur sagen, dass es besser wäre nach Kumbo ins Krankenhaus zu gehen und einen Arzt zu konsultieren. Die meisten gehen jedoch dann nach hause und sterben dort. Oder ein anderes Beispiel ist ein Junge, der sich den Arm gebrochen hat. Sister Theresia schreibt aber nur ein Antibiotikum auf und schickt ihn dann nach hause. Auf meine Frage, warum sie den Bruch nicht richtet und einen Gips anlegt, antwortet sie nur: „Was soll ich mir die Mühe machen und einen Gips anlegen, er geht doch jetzt sowieso zu einem traditionellen Knochendoktor.“
Wenn ein Patient aufgenommen wird, kann ich das Bett vorbereiten. Manche ziehen es jedoch vor anstatt auf dem Bett auf einer Matte vor dem Bett auf dem Boden zu liegen. - Wie man es halt gewöhnt ist. Sister Theresia kann sich köstlich darüber aufregen, wie primitiv diese Menschen doch seien.
Die Nacht im Health Centre kostet 300 plus 50 Francs Gebühren fürs Licht. Wir haben nämlich Solar und somit fast immer Strom. Nur am Wasser hängt es ein bisschen. Die Mission hat ihren eignen Brunnen, aber dort muss man das Wasser immer pumpen. Immerhin ist das Wasser sauber.
Gepflegt, das heißt verköstigt und gewaschen, werden die Patienten von den Angehörigen. Das ist in Kamerun so üblich, auch in großen Krankenhäusern.
Dann gibt es etwa täglich eine Geburt, wo ich nicht so viel machen kann. Die Arbeit ist erst hinterher, wenn es ums Putzen geht. Außer einmal: Da musste ich der Gebärenden auch französisch übersetzen, was sie jetzt machen soll. Die 16jährige Mutter hatte ihre erste Geburt und konnte kein Englisch. Es ist überhaupt bemerkenswert, wie jung die Mütter sind. Das normale Alter liegt zwischen 14 und 21 Jahren. Nach der Geburt bleiben die Mütter mit ihren Babies noch eine Nacht zur Beobachtung da.
So sieht also der Alltag im Health Centre aus.
Einmal im Monat ist im Health Centre und an zwei „Outstations“ Impftag. Impfungen für Kleinkinder werden nämlich von der Regierung bezahlt. Die zwei „Outstations“ sind in Kimi und Lih, einfach damit die Mütter nicht soweit laufen müssen. Dort wir die kleine Kirche umgebaut: Auf dem Altar die Impfstoffe ausgebreitet und im Mittelgang eine Waage aufgehängt. Das ist immer anstrengend, weil um die sechzig Mütter mit Kindern unter einem Jahr kommen, die natürlich manchmal ihre Karte vergessen, den letzten Termin verpasst haben oder einfach nicht verstehen, was ich von ihnen will. (Mein Pidgin wird übrigens immer besser, auch wenn mein Englisch wahrscheinlich darunter leidet.)
Ich wiege die Kinder, ziehe Spritzen auf und verteile Schluckimpfungen. Als Pausenbrot gibt es Bobolo mit Egusi. Egusi sind geriebene Kürbiskerne, die mit Chili gewürzt und getrocknetem Fisch vermengt in Bananenblätter gewickelt in Wasser gekocht werden und dann kalt perfekt zu Bobolo passen.
Wie gesagt sind die Impfungen kostenfrei. Wie erklärt man aber einer Mutter, was eine Polioimpfung ist und dass sie wichtig für das Kind ist? Am besten versucht man es erst gar nicht, sondern sagt, dass es wichtig ist! Und um das zu verdeutlichen singen alle zusammen ein Lied. Zum Beispiel:
Attend clinic, attend clinic, oh attend clinic all the time!
To hear what they say and to do what is right, oh attend clinic all the time!
Attend clinic, attend clinic, oh attend clinic all the time!
To insure your health and to insure your baby’s health, oh attend clinic all the time!
Attend clinic, attend clinic, oh attend clinic all the time!
Die meisten Lieder sind aber in Pidgin, so wie dieses. Darin wird aufgefordert, die Babies zu stillen (Bobi heißt Brust):
Bobi eh, bobi eh, bobi ehe
make pickin he di grow fine.
Bobi eh, bobi eh, bobi ehe
make pickin he di know he mother.
Bobi eh, boi eh, bobi ehe!
Besuch bei Mbororo-Familien
An drei Tagen haben wir, Sister Theresia, Fidelis, der Hausmeister, und ich Mbororo-Familien besucht. Die wohnen teilweise gar nicht so weit vom Health Centre weg, nur durch ein Stück Urwald und über einen Bach ohne Brücke. Dann wird man sofort von den Fliegenschwärmen empfangen, die immer bei einer Rinderherde anzutreffen sind. Den Mbororos macht es gar nichts aus; sie scheuchen sie noch nicht einmal mehr weg, wenn sie zu zehnt auf dem Gesicht herumkrabbeln. Mbororos sind Moslems. Sie wohnen in einfachen grasgedeckten Lehmhütten, die teilweise aber sehr kreativ bemalt sind. Die Grasdächer scheinen dicht und innen sind sie mit dem Nötigsten ausgestattet. Besonders viele Töpfe kann man darin bewundern. Der Reichtum einer Frau zeigt sich nämlich in der Anzahl ihrer Töpfe, die sie mit in die Ehe bringt. Immer vier Häuser stehen zusammen und bilden den Hof einer Familie. Ein Haus für jede Frau eines Mannes. Ein älterer Mann zum Beispiel hat vier Frauen, 27 Kinder und bis jetzt 104 Enkel.Die meisten Kinder fangen hysterisch an zu schreien und zu weinen, wenn sie mich sehen und suchen die Flucht, sobald ich mich auf fünf Meter nähere. Sie haben eben noch nie einen „white man“ gesehen. Für die Erwachsenen allerdings ist es eine Ehre, jedenfalls für die Männer. Ich hätte nie gedacht, dass eine erwachsene Frau sich vor Scham mit den Händen vorm Gesicht an eine Hauswand drückt und kein Wort herausbringt, obwohl sie Englisch spricht, was wir erfahren, als wir wieder gehen.
Ich verstehe meistens nicht viel, denn alles wird von Fidelis von Fulfulbe in Pidgin übersetzt. Manchmal von Sister Theresia dann für mich noch in Englisch. Überall machen wir Familienfotos und wir bekommen frische Milch geschenkt! So etwas kann man nämlich nicht kaufen. Sister Theresia ist ganz erstaunt, dass ich sie trinken möchte, denn sie hat im Leben noch nie Milch getrunken und hätte sie weggeschüttet.
Die ganzen Besuche dienen dazu, ein bisschen Werbung fürs Health Centre zu machen, Vertrauen herzustellen, damit die Mbororos in Zukunft vielleicht direkt ins Health Centre kommen, wenn sie krank sind.
Das ist ein Teil meiner Erfahrungen in Sabongari. Auch wenn ich täglich gar nicht so viel Neues erlebt habe, ist die Zeit sehr schnell vergangen. Eine Zeit, die ich genossen, in der ich noch einmal eine ganz andere Welt zu Kumbo kennengelernt und in der ich so viel mehr über die Menschen gelernt habe.
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