Samstag, 6. November 2010

Kribi

Am letzten Wochenende im Oktober haben wir, Ruth, Brigitte und ich, uns ein bisschen Urlaub gegönnt: Ein Wochenende in Kribi!

Kribi ist eine kleine Hafenstadt im Südwesten Kameruns, direkt an der Atlantikküste. Am Donnerstagmittag geht es los. Wir reisen wieder einmal per „public transport“. Eigentlich wollen wir um zwei Uhr nach Bamenda starten. Der Kleinbus ist aber erst um halb vier voll und starbereit. Diesmal haben wir eine völlig verängstigte Ziege als Gepäck auf dem Dach, die ununterbrochen viereinhalb Stunden schreien kann. Solange brauchen wir nämlich bis wir endlich unsere Zwischenstation Bamenda erreichen. Glücklicherweise haben die deutschen Freiwilligen von „Brot für die Welt“, die in Bamenda wohnen, uns schon Karten für den Nachtbus gekauft, sodass wir nach einem kurzen Abendessen in den nächsten Bus einsteigen können, der nach Douala fährt. Der Nachtbus ist sehr groß mit fünf Sitzen in einer Reihe und insgesamt 70 Plätzen. Man muss sich den Sitz zwar nicht mit jemandem teilen, aber so bequem wie in einem deutschen Reisebus ist es nicht. Um 9 Uhr ist der Abfahrtstermin. Von da an dritt der Fahrer ziemlich energisch alle fünf Minuten aufs Gaspedal, hubt oder fährt zwei Meter vorwärts, um anzudeuten, dass alle einsteigen sollen. In der Zwischenzeit kann man sich einen Vortrag über ein Wundermittel zum Einreiben der Haut anhören, das gegen alles Mögliche vorbeugen und helfen soll. Und die Kameruner kaufen es! Fläschchen um Fläschchen wird unter die Leute gebracht. Die Verkäuferin ist rhetorisch auch wirklich sehr gut. Am Schluss sagt sie zu mir: „Das hilft auch bei Weißen.“ Als ich keine Anstalten mache auch ein Fläschchen zu kaufen, setzt sie hinzu: „Aber ihr habt bestimmt etwas Besseres!“
Um halb elf schließlich rollt der riesige Bus in den Nachtverkehr von Bamenda. So wie dieser Bus auf den löchrigen Straßen schwankt habe ich es noch auf keinem Schiff erlebt. Aber bald geht es auf die asphaltierte Schnellstraße nach Douala. Nach sieben Stunden und einigermaßen ruhigem Schlaf kommen wir in Douala an. Es ist schwül warm und die Hähne auf dem Busparkplatz verkünden, dass es bald hell wird. Sobald die Sonne aufgegangen ist, nehmen wir ein Taxi zum Busparkplatz nach Kribi am anderen Ende der Stadt. Dort wollen wir uns mit Mona, der deutschen Ärztin, treffen. Wir haben noch Zeit und essen erst einmal ein Omelette mit Baguette! Wir sind nämlich fast in Frankreich, also im französischen Teil Kameruns. Fast pünktlich um halb zehn startet der Bus und wir treten die letzte Etappe unserer Reise an.

Nach zwei Stunden Fahrt durch den Regenwald über eine sehr gute Straße sehen wir das Meer und kommen in Kribi an. Eigentlich ist es ziemlich verrückt, dass wir für zwei Tage eine solche Odyssee auf uns nehmen, aber es hat sich gelohnt.

Kribi ist der touristischste Ort in Kamerun. Das merkt man unter anderem daran, dass viele Straßen asphaltiert sind und es ein paar Restaurants und Geschäfte gibt, aber von Massentourismus ist nichts zu spüren. Es ist eine kleine kamerunische Stadt, in der immer noch die meisten vom Fischfang leben.
Erstmal stärken wir uns mit einem Bohnenbaguette, Baguette mit gekochten Bohnen. Es schmeckt einfach gut.

Dann suchen wir ein Hotel.
Wir kommen in einem kleinen Hotel unter, direkt am Strand. Von der Terrasse aus sieht man das Meer und wir ziehen uns erstmal um und springen ins Wasser. Der Atlantik ist badewannenwarm mit mindestens 25 Grad.
Am weißen Sandstrand sitzend knüpft Brigitte gleich wieder Kontakte mit Kamerunern, die uns dann völlig umsonst, naja gegen eine Handynummer, vier Kokosnüsse bringen und aufmachen. Danach machen wir noch einen längeren Spaziergang am Strand.

unser Hotel

Vielleicht lasse ich jetzt besser die Bilder sprechen, denn so gut kann ich es einfach nicht beschreiben:




Das einzige, was uns negativ auffällt ist, dass außer uns noch vier alte Franzosen im Hotel sind, die sich hier mit ihren jungen, kamerunischen Mädchen vergnügen.
Auch am Strand begegnen uns Männer mit ihren dreißig Jahre jüngeren Frauen und Mischlingsbabys. In der Stadt sehen wir aber auch zwei dicke blonde Frauen um die Fünfzig, die sich sehr verliebt an einen jungen Kameruner krallen.
Der eine Hotelangestellte sagt mir, dass er es auch pervers finde. Aber was solle er machen, wenn hauptsächlich jene Gäste hier Urlaub machen.

Abends gehen wir natürlich Fisch essen. Man kann zwar auch im Hotel französisch essen, aber das kostet dann auch annähernd so viel wie in Frankreich und schließlich sind wir ja in Kamerun.
Man merkt, dass man sich in einer Touristenstadt befindet. Hier ist deutlich mehr los als in Kumbo, wo die Leute schon um acht schlafen gehen. Es fahren noch viele Autos und Motorräder durch die Straßen und überall ist Musik. Es wird an jeder Ecke gegrillter Fisch, Grabben und Fleischspieße verkauft.
Und es ist warm, Regenwald eben. Da ich wohl ein bisschen viel von der Pfeffersoße zum Fisch gegessen habe, fange ich an zu schwitzen und es will irgendwie gar nicht mehr aufhören.

Nachdem wir noch ein bisschen durch die Stadt gelaufen sind und ein Bier getrunken haben, fahren wir mit dem Motortaxi zurück zum Hotel, wo wir uns eigentlich noch mal an den Strand setzten wollten. Aber es fängt an zu regnen; wir sind schließlich im Regenwald. Und so bleiben wir noch ein wenig an der Hotelbar sitzen.

Am nächsten Morgen suchen wir uns ein leckeres Frühstück. In Kribi gibt es einen Supermarkt mit Bäckerei! Man kann so viel kaufen. Croissants, Apfeltaschen, Fruchtsäfte, Salami und Süßigkeiten wie Snickers oder Gummibärchen. Das klingt jetzt nicht sehr besonders, aber für uns ist es etwas Besonderes. Das alles gibt es in Kumbo nämlich nicht.
Auf der Straße lassen wir uns noch eine Papaya schälen. Wir finden es lustig, dass es drei Leute braucht, um eine Papaya zu schälen und zu verpacken.

Auf dem Rückweg zum Hotel gehen wir am Hafen vorbei, wo morgens der Fischmarkt ist.

Nach einem ausgiebigen Frühstück am Strand wollen wir zu den Wasserfällen von Lobé (Chutes du Lobé) gehen. Diese werden im Reiseführer als die größten Wasserfälle Afrikas beschrieben, die direkt ins Meer fallen. Nach einer kurzen Motorradfahrt kommen wir an.
Die Wasserfälle sind wirklich imposant. Etwas lästig ist allerdings, dass wir die ganze Zeit von zwei Schwarzen zugelabert werden, die einfach nicht verstehen wollen, dass wir uns nicht für 10000 Francs in ihrem Boot einmal vor den Wasserfällen entlangfahren lassen möchten.

Auf einer Sandbank können wir mehrere hundert Meter hinaus ins Meer laufen und die Wasserfälle aus einiger Entfernung genießen. Dann entscheiden wir uns nicht zurückzufahren, sondern zurückzulaufen. Viele Kilometer Sandstrand liegen vor uns und hinter jedem Felsen tut sich ein neuer Panoramablick auf.
Wir zählen ganze vier Hotels, die alle nicht mehr als 20 Zimmer haben. Sonst ist der Strand hauptsächlich unbebaut und der Regenwald reicht fast bis ans Wasser.
Hier sehen wir auch eine lebende grüne Schlange, die aber leider vor unseren Augen von einem Kameruner mit der Machete halbiert wird.

Nach einem letzten Mal Schwimmen im Meer und dem Sonnenuntergang gehen wir zum Hafen, wo man besonders gut frischen Fisch essen kann.

Direkt am Hafen sind unter einem großen Dach 10 kleine „Restaurants“ mit einer Spüle und einem Grill. Man kann sich hier hinsetzten und auch etwas zu trinken bestellen. Den Fisch suchen wir uns vorher aus, verhandeln dann den Preis und lassen ihn grillen. Man bekommt wirklich alles, was am Tag gefangen wurde. Fisch, Grabben, Hummer, Garnelen.
Wir haben einen Dorsch, einen Barsch und Garnelen ausgewählt. Es schmeckt wirklich sehr lecker, ist aber auch sehr teuer. An diese Preise sind wir gar nicht mehr gewöhnt. 2000 Francs für einen Fisch! Das sind 3,08€.

Neben uns setzten sich vier kamerunische Männer an den Tisch, die uns natürlich gleich ansprechen und sehr schnell sagen, dass sie eine der Frauen heiraten möchten.
Mona und ich geben uns als Ehepaar aus, das mit seinen zwei Töchtern Urlaub in Kribi macht. Mona bleibt somit von Heiratsanträgen verschont. Und da ich der Vater bin und auch der einzige, der Französisch versteht, bekomme ich die schönsten Geschichten und Argumente dargebracht, warum sie so verliebt sind und unbedingt heiraten möchten. Ein Moslem will sogar katholisch werden, damit er Ruth heiraten kann.

Nach dem Essen lassen wir unseren letzten Abend am Strand ausklingen, weil es heute nicht regnet. Wir haben einen wunderschönen Sternenhimmel. So viele und helle Sterne sieht man wohl nur in Afrika. Man hat das Gefühl, dass sich der Himmel mit all den funkelnden Lichtern wie eine Kuppel über einem wölbt.

Und am nächsten Morgen ist unser Urlaub in Kribi beendet. Nach einem schönen Frühstück in einer unscheinbaren Kantine in einem Hinterhof, wo es Omelette mit Baguette gibt, fährt um 6:50 der Bus nach Douala ab.
Unsere Rückreise klappt reibungslos. Ohne größere Wartezeiten bekommen wir die nächsten Busse und kommen ziemlich fertig um 10 Uhr nachts in Kumbo an. Vor allem die letzte Strecke im Auto nach Kumbo über nicht asphaltierte Straße ist anstrengend und insbesondere für Mona, weil sie sich den Sitz mit dem Fahrer teilen muss und, wie sie sagt, auf der Handbremse sitzt.

Aber insgesamt war das Wochenende wunderschön und am Montag hatten wir alle keine Lust aufzustehen und zu arbeiten.


Maximilian

Unterricht in St. Augustine



Heute möchte ich über meine Arbeit als Lehrer im St. Augustine’s College berichten.
Zuerst erzähle ich am besten etwas zum Schulsystem in Kamerun. Mit zwei oder drei Jahren beginnt für die Kinder das Schulleben. Gestartet wird mit zwei Jahren Nursery-School, mit deren Unterrichtsmethoden Brigitte, meine Mitbewohnerin, gerade zu kämpfen hat. Dort herrscht eine Disziplin wie in einer Schule, die Kinder müssen auf Bänken sitzen und es wird vor allem Englisch unterrichtet.
Mit spätestens fünf Jahren geht es für sechs Jahre in die Primary-School. Mit elf Jahren wechseln die Schüler zu einer weiteren Schule, der Secondary-School. Nach fünf Jahren schließen sich zwei Jahre High-School an, nach denen man zur Universität zugelassen ist.
Die Schulpflicht endet nach der Secondary-School oder wenn man das Schulgeld nicht bezahlen kann. Das Schulgeld muss allein von den Eltern aufgebracht werden.

Zwischen den Schulen gibt es natürlich Unterschiede. Es gibt staatliche Schulen, die ca. 30000 Francs (48€) pro Jahr kosten. Die sind deshalb so günstig, weil die Klassen dementsprechend groß sind. In einer Klasse sind zwischen 100 und 200 Schüler. Die Lehrer einer staatlichen Schule werden auch besser bezahlt. Allerdings fehlt die Kontrolle, ob und was die Lehrer unterrichten. Der Lehrer einer staatlichen Schule kann also getrost mal ein verlängertes Wochenende einschieben.
Private Schulen (katholisch, muslimisch oder evangelisch) bieten eine wesentlich bessere Bildung, allein schon weil die Klassen kleiner sind (40 bis 60 Kinder). Sie sind aber auch teurer. Das Schulgeld kann zwischen 60000 (96€) und 100000 (150€) Francs pro Jahr betragen. Wenn man rechnet, dass ein Lehrer einer privaten Schule 130000 Francs im Monat verdient, wird das Schulgeld von zwei Schülern benötigt, um den Lehrer zu bezahlen. Das Schulgeld von 24 Schülern wird nur dazu gebraucht, den Lehrer ein Jahr zu bezahlen. Dazu kommen alle anderen Kosten für Gebäude, Strom, Administration etc.
Schulmaterialien, wie Bücher, müssen natürlich von allen Schülern selbst gekauft werden.
Bildung ist hier also sehr teuer, vor allem wenn man bedenkt, dass in den Dörfern, die Menschen nur von ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen leben, von der Hand in den Mund. Solche Familien sind froh, wenn sie tausend Francs im Monate zur Verfügung haben, weil sie drei Ananas verkaufen konnten. Und somit ist das Schulgeld von 30000 Francs pro Jahr plus Bücher für ein Kind eigentlich unerschwinglich (10 Kinder in einer Familie sind keine Seltenheit).
In meiner Schule werden gerade die Schüler nach Hause geschickt, die ihr Schulgeld nicht vollständig bezahlt haben. Wenn sie mit Geld wiederkommen ist es gut, wenn nicht können sie zu Hause bleiben.

Das Bistum Kumbo finanziert mit der Unterstützung des Kindermissionswerks in Deutschland und des Bistums Limburg das Schulgeld von 1800 Waisen und bedürftigen Kindern pro Jahr. Dies erscheint sehr viel. Aber man muss bedenken, dass es in der Diözese über 7000 Waisenkinder gibt. Bei einer Gesamtbevölkerung von 735000 Menschen ist das knapp 1%.

Aber jetzt zu meinem Unterricht: Das St. Augustine’s College ist ein katholisches Internat mit 800 Schülern, das Secondary-School und High-School umfasst. Ich unterrichte in zwei Klassen in Form II (die zweite Klasse der Secondary-School) Mathematik. Außer mir gibt es noch einen weißen Lehrer, einen spanischen Pfarrer, der Spanisch unterrichtet.

Das Schulsystem ist hier ganz anders, nur das mir keiner sagt, was ich zu tun habe. Ich habe ein Schulbuch (nach zwei Wochen) und meinen Stundenplan bekommen und dann ja … Unterrichte!
Zuvor musste ich noch in langen Diskussionen erkämpfen, dass ich nicht Form III unterrichte, einfach weil meine Englischkenntnisse nicht ausreichen, um Vektoren und Matrizen zu erklären. Aber das ist schon ein Teil der Mentalität hier. Viele glauben, dass wenn man weiß ist, man alles kann und alles weiß. Die Argumente der Lehrer waren: „Mathe ist doch so einfach und Englisch, das ist doch die einfachste Sprache der Welt. Wo soll es da ein Problem geben?“ Meine Argumente waren: „Ich bin kein Lehrer, habe noch nie unterrichtet und würde lieber mit weniger abstrakten Themen anfangen.“ Nach mehreren Gesprächen mit dem Schulleiter darf ich jetzt doch Form II unterrichten.

In einer Klasse sind 43 und der anderen 36 Kinder von elf bis dreizehn. Mittlerweile habe ich herausgefunden, dass die Kinder es einfach nicht gewöhnt sind ein Unterrichtsgespräch zu führen oder selbst zu denken! Sie bekommen hier alles an die Tafel geschrieben, was sie dann auswendig lernen. Ich habe es aber noch nicht aufgegeben, sie dazu anzuhalten, selbst einen Lösungsansatz zu finden.
Eine Secondary-School ist quasi eine Gesamtschule. Die Bücher aber sind Cambridge-Niveau. Wenn die Schüler verstehen, was der Lehrer an die Tafel schreibt, ist es gut, wenn nicht ist der Schüler eben dumm und/oder faul. Es interessiert sowieso nur, ob man einen Test besteht oder durchfällt. Letztendlich entscheiden die Eltern, ob jemand das Schuljahr wiederholt oder nicht, denn die bezahlen schließlich das Schulgeld.

Bei der Vielzahl von Schülern und vor allem dem Tempo, mit dem man im Buch voranschreiten muss, ist es eigentlich unmöglich darauf zu achten, dass alle Schüler das Thema verstehen. Und das geht nicht nur mir so. Etwa ein Drittel meiner Schüler hat solche Defizite, dass man sich fragen muss, ob sie in den letzten drei Jahren im Matheunterricht anwesend waren.
Ich versuche zwar manchmal zu wiederholen, wie man multipliziert oder mit Brüchen rechnet, aber dafür ist eigentlich keine Zeit.

Das ist etwas, was höchst wahrscheinlich durch die hier sonst übliche Art zu unterrichten hervorgerufen wird. Ich habe ein paar Mal am Unterricht meiner Kollegin teilgenommen. Sie ist eine 23-jährige Nonne, die Form I und III unterrichtet.
Sie ist eine kleine, zierliche Person, aber in der Klasse ist Totenstille. Das wichtigste ist erstmal Disziplin. Wenn jemand zu spät kommt, darf er den Rest der Stunde vor der Tafel knien. Wenn jemand stört, laut ist oder sich nicht mit dem Unterricht beschäftigt, gibt es Kopfnüsse, wird an den Ohren gezogen oder die Schwester kommt mit dem Stock.

Das ist ja noch nicht so schlimm. Immerhin ist die Klasse ruhig. Was ich viel gravierender finde ist, dass nur die richtige Antwort zählt. Einmal musste die ganze Klasse am Anfang der Stunde knien. Erst, wenn jemand eine richtige Antwort sagte, durfte er sich setzten. Über zweidrittel der Klasse knieten die ganze Stunde. Wenn man für eine falsche Antwort gedemütigt oder bestraft wird, traut sich natürlich niemand etwas zu sagen.


Dagegen ist mein Unterricht der reinste Zirkus, obwohl ich finde, dass die Klasse für 40 Schüler sehr ruhig ist. Ich schaffe es auch immer mehr Schüler zu motivieren am Unterricht aktiv teilzunehmen. Sie sind aber nur schwer dazuzubewegen, einen eigenen Lösungsansatz zu erdenken oder auf eine Frage zu antworten, deren Antwort ich nicht vorher schon mal gesagt habe oder die genauso im Buch steht. Meinen Schülern sage ich immer, dass es nicht schlimm ist etwas Falsches zu sagen. Denn wie will man etwas verstehen, wenn man nicht begreift, warum es nicht auch etwas anderes sein kann.

Das sind vor allem Probleme des Mathematikunterrichts. Es herrscht grundsätzlich ein Mangel an Mathematiklehrern. Das führt dazu, dass vor allem in den unteren Klassen und der Primary-School Lehrer eingesetzt werden, die wahrscheinlich selbst kein Verständnis oder Begeisterung für Mathe haben. Die Grundlagen werden also einfach nicht gelegt.

Etwas anders, was sich durch die gesamte kamerunische Gesellschaft zieht, ist, dass sich keiner Gedanken macht wie etwas besser, effektiver, einfach anders ablaufen kann. Sich einfach mal die Frage stellen: Wie kann ich meinen Unterricht aufbauen, damit die Schüler es besser verstehen? Viele Lehrer folgen einfach dem Lehrbuch (denn das hat ja ein klügerer Professor geschrieben) und arbeiten mit den Methoden weiter, die ihre Väter von den Kolonialherren übernommen haben. Diese Kultur, nicht zu hinterfragen und einfach das zu machen, was man gelernt oder gesagt bekommen hat, erinnert manchmal ans Mittelalter. Einerseits kann man nicht erwarten, dass die Menschen hier fünfzig Jahre nach Ende der Kolonialzeit gelernt haben zu kritisieren, andererseits ist es etwas, was ich einfach nicht verstehe: Wie man sein Leben nicht selbst in die Hand nehmen kann.

Auch ist die Schule noch weit davon entfernt, die Lehrpläne der einzelnen Fächer aufeinander abzustimmen. Ich habe einmal in einem Chemiebuch geblättert. Wie sollen die Schüler den Graphen, der die Veränderung der Dichte von Quecksilber in Abhängigkeit der Temperatur darstellt, verstehen könne, wenn sie im Matheunterricht noch nicht einmal den Graphen einer proportionalen Funktion zeichnen können?

Disziplin wird nicht nur im Unterricht ganz groß geschrieben. In unserer Schule gibt es einen „Disciplinemaster“. Der ist kein Lehrer, sondern nur damit beauftragt Schüler zu bestrafen und für Ordnung zu sorgen. Bei einem Vergehen wird der Schüler zum „Disciplinemaster“ bestellt und bestraft, ganz egal was er angestellt hat. Wie die Bestrafung im Einzelnen aussieht, wenn man zum „Disciplinemaster“ bestellt wird, habe ich noch nicht mitbekommen, aber am ersten Tag wurde ich von ihm gefragt, ob ich einen Stock haben wolle, er hätte so schöne neue Stöcke gekauft. (Die Schüler berichten, dass die Stöcke öfters mal zerbrechen.)

Und ich werde mit Situationen konfrontiert, die man in Europa wohl nicht vorfinden wird.
Eine Unterrichtssituation war einmal: Ich versuche gerade ein neues Thema zu erklären und plötzlich springt die Hälfte der Klasse auf: „Sir, können wir unsere Wäsche abhängen gehen?“
Meine Reaktion war erst einmal „Nein, wir habe Unterricht!“, „aber es fängt an zu regnen!“. Ja was soll man da noch sagen. Also unterbreche ich den Unterricht für eine Viertelstunde, um die Kinder ihre Wäsche abhängen zu lassen.

Und wie werden die Schüler in Kamerun bewertet? Ich habe einen anderen Mathelehrer gefragt, wie das Notensystem hier sei. Erstmal musste ich erklären, dass es in Deutschland ein Notensystem von eins bis sechs gibt und ich eben nicht weiß, wie es hier gehandhabt wird. Als Antwort bekomme ich: „Vielleicht ein Punktesystem bis 14 oder bis 20. Das kannst du dir aussuchen. Für die Examen gibt es zwar ein einheitliches System, das weiß ich jetzt aber auch nicht.“ …???...

Was noch ein großes Problem ist: die Namen! Erstmal die afrikanisch oder englischen Namen an sich. Und dann sehen alle gleich aus. Die gleiche Schuluniform, die gleichen kurz geschorenen Haare. Am Anfang habe ich nur an der Hose oder dem Rock erkannt, ob es ein Junge oder Mädchen ist. Jetzt kann ich die Gesichter schon differenzieren.
Man trifft aber auch oft auf deutsche Namen, wie z.B. Mathilda, Elisabeth, Wilfried, Agnes, Herbert, Klothilde, Johanna, Stephan, die auch annähernd deutsch ausgesprochen werden.

Freitagnachmittag habe ich noch einen Deutschklub, wo ich Deutsch unterrichte. Der Klub ist freiwillig und es gibt noch zisch andere Klubs zur Auswahl, die zur gleichen Zeit sind. Aber welcher ist der Größte? Der Deutschklub.
110 Schüler sitzen da ohne Schulbuch oder jegliche Unterrichtsmaterialien und wollen von mir Deutsch lernen. Es klappt mittlerweile ganz gut, denn im Nachsprechen sind die Schüler echt gut. Die Schüler sind auch sehr interessiert daran Deutsch zu lernen. Unter anderem wegen der Partnerschaft des Colleges mit St. Ursula in Geisenheim, aber auch weil viele Kameruner davon träumen nach Europa zu kommen oder in Deutschland zu studieren.
Es macht wirklich Spaß Deutsch zu unterrichten und dank des Deutschbuches, was ich mitgebracht habe, weiß ich auch ungefähr wie ich meinen Unterricht aufbauen kann.

Die Kapelle, das wichtigste Gebäude

Dann möchte ich noch den Tagesablauf eines Schülers vorstellen. Der Tag eines Internatsschülers ist bis auf die letzte Minute durchgeplant:

Aufgestanden wird um 5 Uhr morgens. Die Schüler haben Zeit sich und ihre Kleider zu waschen. Um 6:15 Uhr ist heilige Messe. Natürlich ist alles Pflicht, auch für die nicht-katholischen Schüler. Diese müssen aber nicht mitbeten, nur anwesend sein. Es gibt durchaus viele Schüler mit einer anderen Religionszugehörigkeit in den kirchlichen Schulen. Um 7 Uhr gibt es Frühstück, ein Stück des süßen, englischen Brotes und Tee.

Um 7:20 Uhr ist „Morning Assembly“, Morgenappell. Alle Schüler stehen in Reih und Glied nach Klassen und Geschlechtern geordnet auf dem großen Platz vor der Schule. Montags müssen auch alle Lehrer anwesend sein. Erst wird ein Vaterunser und ein Ave Maria gebetet und dann die Schulhymne gesungen, wobei die Flagge des Vatikan gehisst wird. Darauf folgt die Kamerunische Nationalhymne, wobei selbstverständlich die Flagge Kameruns gehisst wird.
Jetzt macht zuerst der Schulleiter eine Ansprache, danach können verschiedene Lehrer oder der Schulsprecher etwas vermelden. Meistens geht es um Regeln, die missachtet wurden, das Schulgeld, welches noch nicht bezahlt wurde oder die anstehenden Tests usw.
Eine Regel ist zum Beispiel, dass die Schüler keinerlei elektronische Geräte besitzen dürfen. Es gibt übrigens auch keine Steckdosen, die für Schüler zugänglich sind.

Nach dem Morgenappell beginnt der Unterricht um 7:45 Uhr. Jede Klasse hat ihren Raum und die Lehrer wechseln nach 45 Minuten. Jeden Tag hat jeder, egal welche Klassenstufe, 8 Stunden durchgängig mit 20 Minuten Pause nach der vierten Stunde.

Jeder Schüler hat auch sein eigenes Pult, worin seine Schulsachen sind. – Es ist schwierig die Sitzordnung zu verändern. Das war das einzige Mal, wo ich die Kontrolle über die Klasse verloren habe, nämlich wenn 40 Kinder gleichzeitig ihr Pult durch die Klasse schieben und anfangen sich zu streiten, wer wo sitzt.-

Die Schulglocke

Um 14:10 Uhr geht es zum Mittagessen; es gibt jeden Tag das Gleiche: Reis mit Soße.

Danach ist eine längere Pause, wo die Schüler Zeit haben zu schlafen oder ihre Wäsche zu wachen, bis alle um halb vier wieder in ihren Klassen sein müssen und dort die Nachmittagsstudien aufnehmen. Das heißt Hausaufgaben machen und lernen. In dieser Zeit ist hauptsächlich der Klassensprecher dafür verantwortlich, dass die Klasse ruhig ist und lernt.

Um 5:45 geht es zur Abendandacht in der Kapelle. Danach gibt es Abendessen, das gleiche wie zum Mittagessen. Dann werden um halb sieben die Nachtstudien fortgesetzt bis um 9 Uhr.

Um 9:30 Uhr ist „dead silence“, Totenstille. Die Schüler wohnen übrigens in verschiedenen Häusern: z.B. St. Andrew, St. Joseph, St. Anne, ein bisschen wie bei Harry Potter. Die Häuser tragen auch Fußballspiele gegeneinander aus.
Haus ist vielleicht zuviel gesagt. Ein Haus besteht aus einem Raum, der ein bisschen größer als ein Klassenraum ist und in dem dicht an dicht Etagenbetten aus Holz stehen. Darin schlafen um die 100 Schüler, alte und junge gemischt, denn die Älteren müssen für Ordnung im Schlafsaal sorgen. Jedes Haus hat noch ein kleines Bad. An der einen Wand reihen sich zehn Duschen an der anderen zehn Toiletten und in der Mitte ein paar Wasserhähne.


Speisesaal


Der Sportplatz

Dienstag- und Samstagnachmittag haben die Schüler Sport anstatt Studien bzw. „Manual Labour“, gemeinschaftliche Arbeiten auf dem Feld oder zum Beispiel den Speisesaal putzen. Freitags ist „Clubtime“, wo unter anderem mein Deutschklub, Tanz-, Musik-, oder Kunstklubs stattfinden. Sonntags haben die Schüler, nach der Messe natürlich, Zeit zum lernen und am Nachmittag sogar frei!

Als ich gefragt habe, warum die Schüler so wenig Freizeit hätten, habe ich gesagt bekommen, dass die Schüler hier sind, um zu lernen und nicht um Spaß zu haben. Und überhaupt bekommen die Schüler hier zu essen und müssen nachmittags nicht auf der Farm arbeiten.

Jetzt habe ich sehr viel über die Dinge geschrieben, die anders als in deutschen Schulen sind und die Schulsituation vielleicht ein bisschen zu negativ darstellt.
Auch hier sind es ganz normale Kinder wie deutsche auch, die viel lachen und Spaß haben können. Man braucht auch nicht zu denken, dass sie besser lernen oder motivierter sind, nur weil die Schule ihre Eltern so viel Geld kostet.

Auch ist die Ausstattung der Fachräume gar nicht schlecht. In den Chemie- und Biologieräumen wird in den höheren Klassen auch praktisch gearbeitet und Experimente durchgeführt. Besonders der Computerraum mit 20 Computern und Internet bietet die Möglichkeit, dass in allen Jahrgangsstufen das Fach „Computer“ unterrichtet werden kann. Das unter anderem sind die Vorteile einer privaten Schule.

Der Chemiesaal (gerade werden die neuen Wasseranschlüsse verlegt, deshalb ist der Boden aufgerissen) und die Chemiesammlung

Am Anfang war es sehr schwer sich zurechtzufinden, zumal ich nicht nur ein völlig fremdes Schulsystem vorgefunden habe, mit den Problemen einer anderen Sprachekonfrontiert wurde und keinerlei Anweisungen bekommen habe, wie ich unterrichten soll.
Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es gut ist, dass ich unterrichte, so als Abiturient ohne Erfahrung. Aber wenn ich mich mit den anderen Lehrern vergleiche beziehungsweise die Erfolge meines Unterrichts mit den ihrigen, profitieren die Schüler mit Sicherheit von mir.

Viele Grüße aus Kumbo

Maximilian